Mittwoch, 25. Oktober 2017

Tipps für Berufseinstieg und Karriere - Teil 1: Bewerbung und Vorstellungsgespräch

Anlässlich eines Workshops für blinde und sehbehinderte Studierende habe ich vergangenen Monat einen Vortrag zum Thema Berufseinstieg und Karriere gehalten. Da dieses Thema auf sehr breites Interesse gestoßen ist, möchte ich die wesentlichen Informationen und Tipps aus diesem Vortrag in einer kleinen Artikelserie zusammenfassen und an einigen Stellen auch ergänzen. Ich hoffe, ihr findet hier den einen oder anderen nützlichen Tipp. Der Schwerpunkt liegt wie bei mir üblich auf Blindheit, wer also noch ein brauchbares Restsehvermögen hat, der kann hier einiges entweder ignorieren oder entsprechend auf seine Bedürfnisse anpassen.


Die Beiträge in dieser Serie:

Ein wichtiger Hinweis gleich vorweg: diese Artikelserie bezieht sich vorrangig auf Fach- und Führungspositionen, insbesondere in großen, internationalen Unternehmen oder bei Tätigkeiten, die Kontakt mit Kunden mit besonders hohen Qualitätsansprüchen beinhalten. Als Beispiele seien hier aktuelle oder zukünftige Unternehmensberater, IT-Berater oder Wirtschaftsprüfer genannt. Viele Tipps sind grundsätzlich zwar auch auf andere Jobs anwendbar, das Anspruchsniveau ist in dieser Artikelserie aber stellenweise doch recht hoch angesetzt.

Außerdem solltet ihr immer im Hinterkopf behalten, dass am Ende vieles von der konkreten Situation, von eurem Job, der Unternehmenskultur, eurem Arbeitsumfeld und nicht zuletzt von eurer eigenen Persönlichkeit abhängt. Die nachfolgenden Tipps sind daher eher als Anregungen zum Nachdenken und als Ideen gedacht, am Ende müsst ihr selbst entscheiden, wie ihr euch präsentieren wollt, wie ihr am besten arbeiten könnt und welche Dinge für euch Priorität haben.


Bewerbung und Vorstellungsgespräch

In diesem Abschnitt gibt es erst einmal einige Tipps zu Bewerbung und Vorstellungsgespräch. Ich beschränke mich dabei im Wesentlichen auf die blindenspezifischen Aspekte, allgemeine Bewerbungsratgeber gibt es nun wirklich schon genug.


Bewerbungsunterlagen
Investiert die Zeit, eure Bewerbungsunterlagen sorgfältig auszuarbeiten. Neben dem eigentlichen Inhalt sind auch gutes Design, eine einheitliche Aufmachung, eine sinnvolle Struktur und natürlich absolute Korrektheit in Sachen Rechtschreibung und Grammatik wichtig. Auch das Foto sollte sorgfältig ausgewählt werden und eine gute Qualität haben.

Eure Unterlagen sollten dabei ein Paket ergeben, dass so strukturiert ist, dass der Empfänger nicht erst Dateien sortieren muss. Also bitte keine Mails mit 15 Dateianhängen, sondern Dinge sinnvoll zusammenfassen und aussagekräftige Dateinamen vergeben.

Lasst eure Unterlagen vorab am besten von qualifizierten Dritten prüfen und stellt dabei absolut klar, dass ihr bestmögliche Qualität wollt, also bitte kein "für einen Blinden geht das schon in Ordnung". Der Fokus sollte dabei auf der Onlinebewerbung liegen, also auf Unterlagen, die ihr hochladen oder per Mail versenden könnt. Papier ist heute schlicht kein übliches Medium für Bewerbungen mehr, und das gilt ganz besonders für große Unternehmen.


Behinderung in der Bewerbung angeben oder nicht?
An dieser Frage scheiden sich oft die Geister: sollte man seine Behinderung bereits in der Bewerbung angeben oder lieber aufs Vorstellungsgespräch warten?

Ich habe hierzu zunächst einmal bei den Recruitern meines eigenen Arbeitgebers nachgefragt. Deren Aussage war eindeutig: auf jeden Fall, denn das gehört einfach zu einem offenen und transparenten Umgang miteinander. Oder umgekehrt gefragt: wollt ihr wirklich für ein Unternehmen arbeiten, dass euch bei Angabe der Behinderung direkt aussortiert hätte?

Gerade bei Sehbehinderten spielen hier aber sicherlich noch andere Überlegungen eine Rolle, und so manches Vorurteil lässt sich im direkten Gespräch schnell ausräumen, wenn es denn überhaupt zu diesem kommt, und aus diesem Blickwinkel heraus bewertet man die Frage vielleicht etwas anders.

Es gibt also hier keine allgemein gültige Antwort, aber vielleicht kann euch eine einfache Frage bei der Entscheidungsfindung helfen: nehmen wir an, ihr werdet zum Vorstellungsgespräch eingeladen, steht am Empfang mit dem Besucherausweis in der Hand und der nette Herr sagt zu euch "Haus E, fünfter Stock, Raum 528“. Seid ihr jetzt in der Lage, den angegebenen Raum selbständig zu finden? Wenn nein, dann wäre etwas Vorwarnung vielleicht angebracht. So mancher wohlmeinende Rezeptionist bricht nämlich in fortgeschrittene Hektik aus, wenn ein Blinder vor ihm steht, fängt an, im Haus herumzutelefonieren und Hilfe zu organisieren, und das kann sowohl den Zeitplan als auch den sorgsam geplanten ersten Eindruck in Gefahr bringen. Weiß der Arbeitgeber in spe dagegen Bescheid, so kann man gleich von vornherein Abholung o.ä. vereinbaren.

Etwas anderes ist aber noch viel wichtiger: gebt ihr die Behinderung bereits in der Bewerbung an (und dort gehört sie klar und deutlich ins Anschreiben) und geht alles seinen vorgeschriebenen Gang, dann wird beim Vorstellungsgespräch auch die Schwerbehindertenvertretung (SBV( dabei sein. Deren Aufgabe ist es u.a. dafür zu sorgen, dass eure Rechte gewahrt werden. Gleichzeitig bringt die SBV meist auch einiges an Fachwissen und Erfahrung mit und kann Auskunft geben, was im Unternehmen wie geregelt ist und was bereits zur Verfügung steht. Lasst euch hier bitte nicht von Horrorgeschichten aus dem Internet entmutigen: die Mehrzahl der Schwerbehindertenvertreter macht einen guten Job und kann im Vorstellungsgespräch eine wertvolle Hilfe für alle Beteiligten sein.


Direkte Kommunikation
Es sollte selbstverständlich sein, ist es aber leider nicht unbedingt: wann immer ihr mit einem möglichen Arbeitgeber kommuniziert, tut ihr das natürlich selbst und in eigenem Namen. Nichts wird eure Eignung so schnell in Frage stellen als ein Anruf oder eine Mail vom Assistenten, von der Mutter oder vom besten Freund. Die offensichtliche Ausnahme sind natürlich Menschen, die bei der Kommunikation tatsächlich auf Assistenz angewiesen sind. Für alle anderen gilt, immer selbst und direkt kommunizieren.


Vorstellungsgespräch


Visueller Check
Es ist durchaus sinnvoll, als Blinder auch in Sachen Outfit und Auftreten vorab Feedback von geeigneten Sehenden einzuholen. Idealerweise sind das Menschen, die sich in der gleichen Welt bewegen, in der man zukünftig arbeiten möchte. Für Berufseinsteiger ist es auch durchaus sinnvoll, mal ein solches Gespräch zu simulieren, vorausgesetzt, ihr findet das passende Gegenüber.

Auch hier müsst ihr aber von vornherein klarstellen, dass ihr detailliertes Feedback wollt und bitte ohne die nur allzu weit verbreitete Rücksichtnahme auf die Behinderung. Ein deutliches Warnzeichen ist, wenn ihr nach einem simulierten Vorstellungsgespräch keinerlei Kritik oder Verbesserungspotential genannt bekommt. Niemand ist perfekt, und irgendetwas gibt es bestimmt zu verbessern.

In einem späteren Teil dieser Serie werde ich übrigens auch noch ein paar Dinge zu Kommunikation und Körpersprache schreiben, was euch Beispiele liefern kann, die ihr eurem Sparringspartner weitergeben könnt und was euch hoffentlich auch im Vorstellungsgespräch ein wenig weiterhelfen kann.


Überwinden von Vorbehalten
Eine der wesentlichen Hürden bei der Jobsuche sind natürlich die Vorbehalte gegen und die Unwissenheit über Behinderung, und das gilt aufgrund der immer noch stark verzerrten öffentlichen Wahrnehmung ganz besonders für Bewerber, die mit Blindenstock oder Führhund unterwegs sind.

Ein guter Weg, Vorurteile zu beseitigen, kann schlicht und einfach eine kurze praktische Demonstration sein. Kommt also im Vorstellungsgespräch die Frage nach dem "wie machen sie das eigentlich“ auf oder merkt man, dass entsprechende Vorbehalte vorhanden sind, so kann man als Bewerber in Abstimmung mit dem Gesprächspartner auch einfach das (natürlich sorgfältig vorbereitete) Notebook aus der Tasche ziehen und eine kurze, aber prägnante Demonstration geben. Das kann von "so schreibe ich eine Mail“ (und bitte aufpassen, was in eurem Posteingang steht) bis zu "so erstelle ich ein Flussdiagramm“ gehen. Natürlich sollte das alles zügig gehen (Notebook voll aufgeladen und im Standby-Modus) und ihr solltet etwas zeigen, was ihr im Schlaf beherrscht. Mit der Braillezeile braucht ihr euch dagegen im Regelfall nicht aufhalten, die wirkt für Sehende meist ziemlich abstrakt und lässt eure Vorführung schnell ein wenig fummelig erscheinen.

Besonders einprägsam sind für Sehende dagegen die bei uns üblichen ultraschnellen Sprachausgaben: hier demonstriert ihr nämlich Fähigkeiten, die andere nicht haben, und die sind durchaus auch von praktischer Bedeutung. Und den Moment, wenn ein Bewerber seinen Screenreader immer langsamer stellt und der Recruiter schließlich entdeckt, dass das hektische Geräusch aus dem Lautsprecher tatsächlich menschliche Sprache ist, vergisst so schnell niemand mehr.

Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass eine Vorführung mit dem Notebook in den meisten Fällen deutlich überzeugender wirkt als mit dem Smartphone.

Ein anderer Trick ist, an passender Stelle eine kurze Anekdote einzuflechten, zum Beispiel nach dem Schema "Tirol? Na klar, da war ich vor zwei Jahren im Kletterurlaub“. Und mit diesem kurzen Satz habt ihr dann nicht nur den Urlaub, sondern sogar einen Kletterurlaub in den Raum gestellt, und das reicht auch schon, um wieder das eine oder andere Vorurteil zu erlegen. Solche Dinge funktionieren übrigens meist am besten auf "fire and forget“-Basis. Also bitte keine langwierigen Erklärungen, Details gibt es auf Nachfrage.


Fokussiert bleiben
Wichtig ist aber auch, dass euer Vorstellungsgespräch nicht zu einer Diskussion über Blindheit wird. Der Fokus sollte stets auf eurer Person und eurer Qualifikation liegen. Und so interessant die Bedienung von Computer und Smartphone oder der Kletterurlaub auch sein mögen, so schnell solltet ihr auch wieder zum Thema zurückkommen, sonst geht die eigentliche Botschaft unterwegs leicht verloren.


Die “alles kein Problem” Einstellung
So sehr ich einer positiven Einstellung zur eigenen Behinderung und zur eigenen Leistungsfähigkeit applaudiere, so sehr muss ich aber auch vor einer unter Blinden durchaus verbreiteten Form der Realitätsverzerrung warnen. Wer im Vorstellungsgespräch verkündet, Computerbedienung sei ja nun wirklich absolut kein Problem und man könne jeden Computer genauso bedienen wie ein Sehender, der könnte am ersten Arbeitstag eine sehr böse Überraschung erleben.

Tatsache ist, dass eben nicht jede Software zugänglich ist und entgegen der vollmundigen Versprechungen einiger unseriöser Hilfsmittelfirmen auch nicht jede Software zugänglich gemacht werden kann, zumindest nicht mit einem auch nur annähernd realistischen Zeit- und Kostenaufwand.

Auch wenn man natürlich keine zusätzlichen Hindernisse für die eigene Anstellung aufbauen möchte, ist hier ein differenzierter Umgang mit der eigenen Behinderung gefragt. Natürlich solltet ihr eure eigene Leistungsfähigkeit in den Vordergrund stellen und klar machen, dass Computer und Smartphone für Blinde sehr viel öfter Werkzeug als Hindernis sind. Gleichzeitig müsst ihr aber auch erfragen, welche Software für den neuen Job zwingend erforderlich ist und ggf. abklären, ob diese zugänglich ist. Der erste Ansprechpartner ist hier meist die Schwerbehindertenvertretung, das kann aber von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein.

Die gute Nachricht: ein qualifizierter Recruiter wird solche Fragen eher positiv werten, denn sie zeigen, dass ihr euch mit eurem potentiellen Job auseinandersetzt, Eigenverantwortung übernehmt und praxisorientiert denkt. Natürlich kann man hier nicht alles direkt im Vorstellungsgespräch abklären, ein Termin mit den zuständigen Stellen wird aber hoffentlich Klarheit schaffen.


Finanzierungsfragen
Ein anderes, oft sehr kontrovers diskutiertes Thema ist die Frage, in wie weit man im Bewerbungsgespräch Dinge wie Hilfsmittelfinanzierung, Arbeitsassistenz oder Minderleistungsausgleich erwähnen sollte.

Ist die Finanzierung von Hilfsmitteln bereits geklärt oder seid ihr schon entsprechend ausgestattet, so solltet ihr das durchaus erwähnen. Auf den zukünftigen Arbeitgeber kann das nämlich sehr beruhigend wirken, besonders, wenn dieser die Preise für typische Blindenhilfsmittel kennt. Und je kleiner das Unternehmen, desto wichtiger kann dieser Punkt werden.

Beim Thema Arbeitsassistenz sieht es da u.U. schon ganz anders aus. Zum einen ist das ganz allgemein für alle Beteiligten eine recht komplexe Frage, zum anderen muss man hier auch auf die Botschaft achten, die man dem potentiellen Arbeitgeber sendet. Ziel eures Vorstellungsgespräches ist es schließlich, euren potentiellen Arbeitgeber von eurer Leistungsfähigkeit zu überzeugen. Wer also nicht von vornherein auf Assistenz angewiesen ist, der sollte diese Karte vielleicht erstmal in der Hinterhand halten und nur auf den Tisch packen, wenn es sinnvoll erscheint.

Deutlich kritischer sieht dagegen das Thema Minderleistungsausgleich aus. Diese Möglichkeit würde ich definitiv nur erwähnen, wenn von vornherein klar ist, dass man den Job nicht in der geforderten Weise erbringen kann.

Dem oft zu hörenden Ratschlag, man solle seinem zukünftigen Arbeitgeber erstmal die vielen Vorteile der Beschäftigung Schwerbehinderter aufzählen, kann ich hier daher auf keinen Fall teilen. Neben eurer Selbstdarstellung besteht hier nämlich zusätzlich das Risiko, den Gesprächspartnern versehentlich ihren Job zu erklären. Und Sätze wie "das können sie ruhig unsere Sorge sein lassen“ sind so ziemlich das Letzte, was ihr im Vorstellungsgespräch hören wollt.

Nichtsdestotrotz ist es aber durchaus sinnvoll, die für euch relevanten Finanzierungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zu kennen, damit man im Bedarfsfall auch selbst Auskunft geben kann. Nicht jedes Unternehmen hat eine funktionierende Schwerbehindertenvertretung und nicht jeder Schwerbehindertenvertreter kennt die Fördermöglichkeiten im Detail.


Und zu guter Letzt…

Wenn es ans Vorstellungsgespräch geht, dann ist Balance der entscheidende Faktor. Gute Vorbereitung, Konzentration und ein professionelles Auftreten sind von großer Bedeutung. Gleichzeitig wollen Recruiter aber auch euch ganz persönlich kennen lernen. Es solltet also immer ihr sein, die professionell und qualifiziert auftretet, und nicht irgendeine Fantasiegestalt aus dem Karriereratgeber.

Ebenso wichtig ist es, dass ihr in Bewerbung und Vorstellungsgespräch ehrlich seid. Dinge in einem möglichst positiven Licht darstellen, das ist üblich und verständlich. Wer aber Dinge erfindet oder Wesentliches schuldhaft verschweigt, der hat nicht nur ein Dauerproblem für den Rest seines Arbeitsverhältnisses geschaffen, sondern verzerrt meist auch die Selbstdarstellung. Solche Inkongruenzen sind für Recruiter deutliche Warnzeichen und sollten unbedingt vermieden werden.

Geht also offen und positiv ins Einstellungsverfahren, präsentiert euch von eurer besten Seite und macht euch klar, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander passen müssen. Werdet ihr nicht genommen, so passt es schlicht und einfach nicht, und das kann man erst einmal ganz wertneutral zur Kenntnis nehmen. Gleichzeitig ist jede Bewerbung und jedes Vorstellungsgespräch eine Chance, zu lernen, Erfahrung zu sammeln und beim nächsten Mal wieder ein wenig besser zu sein. Nutzt also eure Chancen, bleibt positiv und arbeitet ebenso systematisch wie selbstkritisch an eurem eigenen Erfolg, und ihr werdet am Ende auch den passenden Job finden.

1 Kommentar:

  1. Super Beitrag! Ich bin im freudigen Wartezustand auf den nächsten Teil. Beste Grüße und bitte weiter so.

    AntwortenLöschen