Donnerstag, 4. Mai 2017

Für Sehende: Tipps für Servicekräfte in der Gastronomie

In Restaurants, Bars oder Cafes hängt für einen Blinden viel davon ab, wie das Servicepersonal auf die vielleicht doch etwas ungewöhnliche Situation reagiert. Mein eigenes Erfahrungsspektrum ist hier sehr breit und reicht von absolut vorbildlichem Service bis zu Erlebnissen aus dem Randbereich des Surrealen. Angeregt durch die vielen positiven Rückmeldungen zu meinen anderen "Für Sehende" Beiträgen möchte ich deshalb auch zu diesem Thema einige Erfahrungen zusammenfassen und hoffe, dass für den einen oder anderen Leser etwas Nützliches dabei ist. Bitte behaltet dabei aber immer im Hinterkopf, dass diese Hinweise zwar meinen eigenen Erfahrungen und denen einiger anderer Blinder entstammen, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe. Andere Menschen mögen zu dem einen oder anderen Punkt aber vielleicht eine völlig andere Meinung haben.



Hilfe anbieten und Hilfe geben

Der Umgang mit Menschen mit Behinderung ist für die Umwelt eigentlich inner ei kleiner Balanceakt. Auf der einen Seite ist ein Mensch mit Behinderung immer erstmal ein ganz normaler Mensch und möchte auch als solcher behandelt werden. Auf der anderen Seite braucht dieser mensch aber vielleicht auch mal ein wenig Hilfe. Welche Art von Hilfe benötigt wird und in welchem Umfang ist aber sehr individuell und muss die alleinige Entscheidung der jeweiligen Person bleiben. Im Zweifelsfall solltest du daher immer nachfragen bzw. dem blinden Gast die Initiative überlassen. Wer einem erwaqchsenen Menschen ungefragt das Essen kleinschneidet oder dies auch nur anbietet, oder ihm seinen Champagner in einem Tumbler serviert, der wird möglicherweise einen sehr ungehaltenen Gast vor sich haben. Und dabei ist es völlig egal, wie gut du es gemeint hast oder welche Wünsche ein anderer blinder Gast neulich geäußert hatte.


Normalität und Diskretion

Grundsätzlich solltest du deinen blinden Gast wie jeden anderen auch behandeln. Also bitte kein großes Kino. Wer unnötigen Aufstand macht, der lenkt die Aufmerksamkeit auf die Behinderung, und das kann niemals das Ziel guten Service sein.

Wird Hilfe benötigt, so solltest du diese leise und unauffällig geben. Die meisten Blinden haben ganz normale Ohren, es ist also nicht notwendig, die Stimme durchs halbe Restaurant zu schicken, wenn du eine Frage beantwortest oder Hilfe anbietest. Auch die Begleitung zum Platz oder zur Toilette sollte so unauffällig wie möglich geschehen. So manche Bedienung lässt sich hier von ihrem eigenen Ego hinreißen und will gleich dem ganzen Restaurant demonstrieren, was sie da gerade für eine wundervolle Tat vollbringt. Der blinde Gast wird da schnell zum Statisten, der mit hochrotem Kopf hinterhertrotten darf.


Wie führt man einen Blinden?

Nicht jeder Blinde möchte gerne geführt werden. Manche Blinde haben noch genug visuelle Wahrnehmung oder einfach nur eine gute akustische Orientierung und können dir eigenständig durchs Restaurant folgen, wobei es hilfreich ist, wenn du dich unterwegs mit dem Gast unterhältst. Andere brauchen etwas mehr Hilfe, also immer erstmal fragen.

Möchte ein Gast gerne geführt werden, so solltest du ihn nicht einfach am Arm greifen, schließlich hat niemand gerne das Gefühl, durch die Gegen gezerrt zu werden. Besser geht es auf diese Weise:
  • Stell dich auf der dem Blindenstock oder Führhund abgewandten Seite neben den Blinden und berühre mit deinem Unterarm den seinen. Der Blinde wird jetzt deinen Arm oberhalb des Ellbogens greifen. Manche Blinde bevorzugen es, dir die Hand auf die Schulter zu legen oder nur leicht deine Kleidung zu berühren.
  • Der Blinde geht einen Schritt hinter dir . An deinen Körperbewegungen merkt er, wohin es geht.
  • Unterwegs solltest du Engstellen und Hindernisse ansagen. Bei Treppen brauchst du keine Stufen zählen, sondern nur sagen, ob es rauf oder runter geht und wann die Treppe beginnt bzw. endet.
  • Trefft ihr auf eine Engstelle, dann kannst du den Führarm hinter den Rücken nehmen. Versteht der Blinde dieses Signal, so wird er hinter dich treten und ggf. deinen Arm tiefer greifen.

  • Bitte beim Führen nicht nur auf den Boden achten. Der Kopf ist genauso wichtig, besonders, wenn dein Gast größer ist als du.

  • Am Platz kannst du einfach die Hand deines Führamrmes auf die Stuhllehne legen, damit dein Gast weiß, wo er sitzen kann. Falls diese Geste schwierig ist, dann sag einfach, wo sich der Sitzplatz befindet. "Da" und "dort" sind dabei keine Worte, denen ein Blinder irgendeinen Sinn entnehmen kann. Richtungsangaben wie "einen Meter schräg rechts" oder "einen Meter auf 2 Uhr" (siehe unten, und immer aus der Perspektive des Blinden gesehen) sind dagegen für die meisten Blinden leicht verständlich.

Eigenarten

Blinde in freier Wildbahn erwecken oft den Eindruck, schlecht gelaubt oder eher distanziert zu sein. Das hat zwei Gründe. Zum einen wäre da die enorme Konzentration, die ein Blinder beim Navigieren im freien Gelände braucht. Zum anderen können Blinde nicht auf dein Lächeln oder deine Körpersprache reagieren, was in deinem Gehirn leicht zu Trugschlüssen führen kann. Dazu kommt, dass besonders früherblindete Menschen oft nur eine sehr eingeschrönkte Mimik und Körpersprache haben, da sie nie Gelegenheit hatten, sich diese bei anderen Menschen abzuschauen. Eine andere Eigenart mancher blinder Menschen sind sogenannte Blindismen. Dieserr Begriff bezeichnet stereotype Verhaltensweisen wie Kopfnicken, Wippen mit dem Oberkörper oder das ständige Berühren der Augen mit den Fingern. Laien interpretieren solche Verhaltensweisen oft als Anzeichen für das Vorliegen einer geistigen Behinderung, was bei Blinden aber meistens falsch ist. Solche Verhaltensweisen kann man eher als schlechte Angewohnheiten bezeichnen, also versuch bitte einfach, sie zu ignorieren.

Duzen oder Siezen?

Gleich vorweg: die oft zitierte Regel, Menschen mit Behinderung dürfe man niemals ungefragt duzen, ist schlicht und einfach dummes Zeug, und je nach Situation schlicht eine andere Art von Diskriminierung. Hier gelten die gleichen Regeln wie bei allen anderen Menschen auch. Also frag dich einfach, wie du diesen Menschen anreden würdest, falls er keine Behinderung hätte.

Speisekarte und Bestellung

An dieser Stelle möchte ich gleich mal auf einen ebenso großen wie weit verbreiteten Faucpas hinweisen. Wer die Bestellung eines Blinden aufnimmt, der sprich bitte mit dem Blinden über seine Wünsche, und nicht mit der sehenden begleitung. Sätze wie "und was hätte (d)er denn gern" sind eine Frecheit und werden vielleicht auch entsprechende Reaktionen provozieren. Nicht jeder Blinde braucht Hilfe mit der Speisekarte. Manche Blinde haben noch genug Sehrest, andere möchten gerne ihr neuestes technisches Spielzeug ausprobieren. Wiederum andere haben sich ihr Gericht schon vorab im Internet herausgesucht. Fragen sollte man aber durchaus, sobald ein Blinder ohne sehende Begleitung da ist: "darf ich Ihnen mit der Speisekarte behilflich sein?" Falls der Gast noch nicht so recht weiß, in welche Richtung es gehen soll, so solltest du zunächst die Überschriften vorlesen. Dann kann der Gast einhaken, und du liest die entsprechenden Gerichte vor. Dabei bitte kein Steno: der Gast muss alle Dinge wissen, die zum Gericht gehören, auch wenn sie für dich selbstverständlich sind. Stellst du eine Frage, dann schau bitte den Blinden dabei direkt an. Blinde können in der Regel hören, ob jemand mit Ihnen redet, und wenn du eine Frage deinem Orderman stellst, dann wird sich dein Gast möglicherweise garnicht angesprochen fühlen. Und wo wir gerade beim Thema Sprechen sind: bitte verfall auch nicht in die allzu weit verbreitete Angewohnheit, blinde Gäste wie Kleinkinder oder Grenzdebile anzusprechen. Blindheit als solches führt weder zu Schwerhörigkeit noch zu Begriffsstutzigkeit . Besonders laut oder langsam reden, oder all die schwierigen Worte erklären, das kommt bei blinden Gästen garnicht gut an, es sei denn, der oder die Betroffene bittet von sich aus darum.

Rund um's Bedienen

  • Ein Blinder Gast kann nicht durchs Restaurant schauen und der Bedienung ein Zeichen geben. Er merkt auch nicht unbedingt, ob da eine Servicekraft vorbeiläuft - und schließlich möchte ja niemand seine Bestellungen bei einem anderen gast aufgeben. Es ist also empfehlenswert, immer mal wieder nachzufragen,ob ein blinder Gast noch etwas möchte.
  • Die Mehrzahl der Servicekräfte versucht natürlich, die Gäste so wenig wie möglich zu stören, und da taucht dann schonmal klammheimlich ein Glas Cola vor einem Blinden auf. Bekommt dieser das nicht mit, so ist der Unfall vorprogrammiert. Also: Speisen oder Getränkge abstellen bitte mit Ansage, und zwar möglichst vorher.
  • Bitte beim Abstellen von getränken diese dort stehen lassen, wo man sie abgestellt hat und wo sie den aufschlussreichen Ton gemacht haben, an dem der Blinde gerade die Position der Tasse ausgemacht hat. Und muss man mal etwas verräumen, beispielsweise um für einen Teller Platz zu schaffen, dann bitte diskret ansagen, wo sich die Dinge nun befinden.
  • Einem Blinden sein Getränk vor die Nase halten ist keine gute Idee, auch nicht mit Ansage. Wer fischt schon gerne wild in der Luft herum auf der Suche nach einem frei schwebenden Glas. Getränke also bitte abstellen.
  • Und das Abstellen reicht dann auch völlig aus. Also bitte nicht nach den Händen des Gastes greifen, um diese ans Ziel zu führen.
  • In einer lauten Kneipe oder in einem Club kann man einem Blinden ruhig auf den Arm oder auf die Schulter fassen, um klar zu machen, wem die Frage gilt. Und reagiert ein einzelner Gast doch mal etwas pikiert, so nimm es nicht persönlich. Irgendwie musst du ja schließlich auf dich aufmerksam machen.

Beschreibung des Tellerinhaltes

Einigermaßen zivilisiertes Essen kann für einen Blinden durchaus eine Herausforderung sein. Es ist daher sehr hilfreich, dem blinden Gast anzubieten, ihm den Inhalt seines Tellers mit Lageangaben zu beschreiben. Die Idee ist eigentlich ganz einfach: stell dir vor, der teller sei das Zifferblatt einer Uhr, und beschreibe, was sich wo befindet. Das könnte beispielsweise so klingen: Das steak liegt auf 6 Uhr, die Pommes zwischen 12 Uhr und 3 Uhr, der Krautsalat zwischen 10 und 12 Uhr und auf dem krautsalat liegt eine Chilischote. Auch Dekoration unbedingt mit ansagen. Weitere wichtige Informationen sind, ob sich einzelne teile des Gerichts in eigenen Behältnissen befinden und ob sich nicht essbare Dinge wie Spieße oder Zahnstocher im Essen befinden. Generell ist es natürlich nicht ganz einfach, das richtige Maß an Information zu finden. Die Frage ist immer, was dein Gast wissen muss. Ein weiteres kleines Beispiel, wie es richtig geht: "Hier ist ihre Kanne Tee. Der Beutel ist schon drin, die Kanne steht auf der Teetasse und rechts daneben steht eine Schale für den Teebeutel". Auch für die Orientierung im Raum ist das Zifferblatt hilfreich. Ein Glas, dass schräg rechts vor mir steht, das steht auf 2 Uhr. Und die Toilette könnte sich auf 6 Uhr befinden, also genau hinter mir.

Bezahlen

Wer einem Blinden die Rechnung reicht, der sollte leise den Betrag sagen und auch die einzelnen Positionen auflisten. Ein Blinder, der seine Freundin oder einen Kollegen zum Essen einlädt, möchte sich den Rechnungsbetrag wohk kaum von seinem Gast vorlesen lassen. Bezahlen der ec- oder Kreditkarte ist für die meisten Blinden übrigens auch kein Problem. Heutige Bezahlterminals haben meistens eine Punktmarkierung auf der Taste 5 und die Enter-Taste ist entweder besonders groß oder mit einem Kreis markiert. Ist letzteres nicht der Fall, so braucht ein Blinder hier vielleicht etwas Hilfe. Ein Satz wie "Sie müssen aber noch die grüne Taste drücken" fällt nicht in den Bereich "Hilfestellung". Besser: "die zweite Taste von rechts unten".

Der Gang zur Toilette

Möchte ein Blinder den Weg zur Toilette gezeigt bekommen, so führe ihn bitte zumindest bis an die Tür. Dort kannst du fragen, ob Hilfe in der Toilette benötigt wird. Falls ja, dann zeig deinem Gast bitte eine freie Kabine und schau am besten auch gleich nach, ob Toilettenpapier vorhanden und alles sauber ist. Du solltest außerdem fragen, ob dein Gast Hilfe beim Rückweg benötigt und ggf. (in der Regel vor der Tür) warten. Das ist in der Alltagshektik vielleicht manchmal nicht ganz unproblematisch, aber für deinen blinden Gast ist es möglicherweise noch viel schwieriger, seinen Platz wiederzufinden.

Garderobe

Sei nicht böse, wenn ein Blinder wirklich alle seine Sachen direkt bei sich behalten möchte, auch wenn das bei euch vielleicht nicht gerne gesehen wird. Viele Blinde haben das fest einprogrammiert, denn mann will ja seinen Krempel auch wiederfinden. Und wurde die Jacke von einem hilfsbereiten Kellner erstmal an die Garderobe gehängt, und ist der Kellner anschließend weg oder hat vergessen, wie sie aussieht, dann kann die Sucherei sowohl zeitintesiv als auch ziemlich peinlich werden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Blindenstock zu. Für einen Blinden ist sein Stock seine Orientierung, seine Sicherheit, seine Selbständigkeit und noch vieles mehr. Die Regel ist daher ganz einfach: niemand fasst den Blindenstock ohne vorherige, ausdrückliche Erlaubnis an. Wer diese kleine Regel missachtet, der könnte deutliche Reaktionen provozieren. Und wo wir gerade beim Thema sind: was auch immer ein Blindenstock ist, er ist definitiv kein Griff, an dem du einen Blinden durchs Restaurant ziehen kannst.

Blindenhunde

In Sachen Führhunde gibt es gerade in der Gastronomie immer wieder Probleme und Missverständnisse, die in manchen Fällen sogar von der Polizei oder einem Gericht geklärt werden müssen. Aus diesem Grund hier einige Hinweise zum Thema: Gastronomiebetriebe dürfen Führhunden den Zutritt nicht verwehren. Dabei spielen weder Hausrecht noch Arbeitsanweisungen eine Rolle, da diese Frage vom Gesetzgeber beantwortet und auch von den zuständigen Behörden wiederholt klargestellt worden ist. Abseits dessen dürfte es eigentlich keinem Gastronomiebetrieb daran gelegen sein, sich in die Liste der Unternehmen einzureihen, die wegen berechtigter Diskriminierungsvorwürfe in Presse und Fernsehen gebrandmarkt wurden, vom Internet und seinen Bewertungsportalen mal ganz zu schweigen. Das Anbinden des Führhundes vor der Tür ist ohnehin keine Alternative. Mal abseits aller anderen Probleme würde sich der Besitzer hier grob fahrlässig verhalten. Führhunde sind nicht nur Lebewesen, sie sind noch dazu sehr teuer und werden gerne gestohlen. Einige weitere Tipps:
  • In Sachen Blindenhund gibt es eine absolute Regel: trägt der Hund das Führgeschirr, so interagiere bitte niemals mit dem Hund. Das bedeutet kein Ansprechen, kein Winken und schon gar kein Streicheln. Der Hund ist am arbeiten, und jede Ablenkung kann den Hund verunsichern und damit seinen Besitzer in Gefahr bringen. Dein eigener Kuscheldrang muss hier hinten anstehen.
  • Ist der Hund am Arbeiten, dann bitte auch weder das Führgeschirr noch den Blinden selbst anfassen, da auch das den Hund verunsichern kann.
  • Ist das Führgeschirr ab, dann bitte das Einverständnis des Besitzers einholen.
  • Gefüttert wird der Hund normalerweise vom Besitzer, da Führhunde trainiert sind, von Fremden keine Nahrung anzunehmen.
Weitere Informationen zur Rechtslage im Bezug auf Blindenhunde findest du u.a. hier. Weitere Beiträge mit Hinweisen für Sehende:

1 Kommentar:

  1. Man sollte erwähnen, dass ein #blindenFührhund 25.000,-- Euro kostet und eine entsprechende Einweisung beim Besitzer benötigt.

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